Traum aus Wasser und viel Luft

Erschienen Nr. 47/ 2004 in Börse Online

Ein erhabener Moment: Kanadische Politiker trinken das Wasser, das ein mit Brennstoffzellen angetriebener Stadtbus ausscheidet – als einzigen “Schadstoff”. Fernsehkameras laufen, die Politiker lächeln, und die Firma Ballard Power Systems Inc. im westkanadischen Vancouver hat einmal mehr demonstriert: So rein ist unser Antriebssystem für das Auto der Zukunft.

Das war in den neunziger Jahren. Seither sind die erhabenen Momente für den Brennstoffzellen-Hersteller immer seltener geworden. Der Aktienkurs von Ballard, der im März 2000 noch in Toronto bei über 180 kanadischen Dollar notiert hatte, ist heute noch etwa 9,75 kanDollar wert. Bislang hat die Firma kumulative Verluste von 525 Millionen kanDollar angehäuft. Trotzdem gehörten die Ballard-Manager zu den bestbezahlten des Landes.

Der Brennstoffzellen-Strom, der den herkömmlichen Verbrennungsmotor ersetzen soll, treibt aber derzeit immer noch weniger als 100 Prototypen an. Die Zeit von Ballards unhaltbaren Prognosen ist vorbei: Vorstandschef Dennis Campbell sagt nicht mehr – wie sein vollmundiger Vorgänger Firoz Rasul -, in welchem Jahr er erstmals mit einem Gewinn rechnet. Oder in welchem Zeitraum ein mit Ballards Brennstoffzellen angetriebenes Auto in die Massenproduktion gehen dürfte.

Die Anleger sind ohnehin misstrauisch geworden: Ende 2002 erklärten die Ballard-Manager, man habe genügend Barmittel bis 2007. Aber was geschah? Zwei Tage später gab Ballard über sieben Millionen neue Aktien aus – und verwässerte die Titel der alten Eigner. Das empörte nicht nur die Finanzgemeinde. Die Euphorie für Brennstoffzellen-Autos hat sich elf Jahre nach dem Börsengang von Ballard deutlich abgekühlt. Tiefe Skepsis macht sich bei Wissenschaftern, Umweltschützern und Finanzanalysten breit.

Dabei sah es vor einigen Jahren noch so vielversprechend aus – in der Theorie. Die Brennstoffzellen hatte ein britischer Physiker vor 160 Jahren erfunden: Brennstoffzellen wandeln die Energie einer elektro-chemischen Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff direkt in Elektrizität und Hitze um – mit dem einzigen Nebenprodukt Wasser. Die Raumfahrt entdeckte die Technologie in den sechziger Jahren wieder. Der Ingenieur Geoffrey Ballard entwickelte die Technologie in den achtziger Jahren weiter. Der Kanadier entwickelte eine Art Mini-Kraftwerk, das ein elektrisches Auto antreiben könnte. Ein Stadtbus wurde der erste Prototyp mit Brennstoffzellen-Antrieb.

Autokonzerne sprangen auf den Ballard-Bus auf: Sie waren durch Regierungsnormen für abgasfreie Autos in Kalifornien unter Druck geraten (der heute aber ziemlich abgenommen hat). 1997 beteiligten sich DaimlerChrysler AG und Ford Motor Co. an Ballard. Ein Daimler-Manager kündigte an, im Jahr 2005 würden 100000 Brennstoffzellen-Autos vom Band rollen.

Von wegen: Ein kommerziell realisierbares (sprich konkurrenzfähiges) Produkt gibt es bis heute nicht. Finanzanalyst Brian Piccioni von BMO Nesbitt Burns in Toronto behauptet, dass es sehr wahrscheinlich gar nie soweit kommen werde. Denn die Sache hat mehrere Haken: Wasserstoff ist nämlich keine Energie an sich, sondern nur ein Energieträger. Wasserstoff wird heute vor allem aus Naturgas hergestellt, andere Methoden wie Elektrolyse sind ebenfalls möglich. Auf jeden Fall braucht der Herstellungsprozess enorm viel Energie. Das ist teuer und löst weder Energieknappheit noch Umweltprobleme. Alternative Energien wie Solarstrom, Windmühlen oder Erdwärme würden niemals für die globale Wasserstofferzeugung ausreichen.

Teuer und knapp ist auch Platin, das im Innern der Brennstoffzellen gebraucht wird. Zudem ist es schwierig und kostspielig, Wasserstoff zu lagern, zu komprimieren oder zu verflüssigen und zu transportieren. Felix Pilorusso aus Toronto schätzt, dass allein die Herstellung von Wasserstoff bis zu zehnmal teurer sei als von Benzin – von den anderen Kosten ganz zu schweigen. “Bis es nicht günstigere Wege gibt, Wasserstoff zu produzieren, sind Brennstoffzellenautos nicht attraktiv”, sagt Pilorusso, ein Berater der Autoindustrie. Er glaubt, zum Durchbruch werde es noch einige Jahrzehnte dauern.

Nicht nur das: Benzin-Tankstellen müssten durch eine Wasserstoff-Infrastruktur ersetzt werden. Doch wer bezahlt die geschätzten 500 Milliarden US-Dollar dafür? Neben Daimler/Chrysler und Ford investieren zwar Autohersteller wie General Motors, Toyota, Honda und Nissan weiterhin in den Brennstoffzellen-Antrieb.

Aber vorerst und in naher Zukunft wird auf den erstaunlich erfolgreichen Hybridantrieb gesetzt, Autos, die mit Benzin und Strom fahren können, wie “Prius” von Toyota oder “Civic” von Honda. In den kommenden Jahren dürften aber auch die Verbrennungsmotoren punkto Benzinverbrauch und Abgase stark verbessert werden.

Doch das ist nicht die einzige Konkurrenz für Ballard: Heute arbeiten mindestens 50 weitere Firmen in Nordamerika, Japan und Europa an Brennstoffzell-Systemen und Auto-Komponenten.

Sollte ein Wettbewerber eine bessere Technologie anbieten, können Daimler/Chrysler und Ford laut Abkommen aus ihrem Vertrag mit Ballard aussteigen. Im Juli haben die beiden Autohersteller die deutsche Brennstoffzellen-Division (Ballard AG), die die Kanadier vor drei Jahren erworben hatten, von Ballard Power Systems zurückgekauft Mit dieser Division wollten die Kanadier eine ganze Reihe neuer Anwendungen für Brennstoffzellen im Autobereich (etwa für Kühlung oder Regulierung des Energieverbrauchs) entwickeln, was der Firma in der Zukunft weitere potentielle Einkommensquellen ermöglicht hätte. Schon früh warnten aber Marktbeobachter in Nordamerika, dass dadurch die verfügbaren Barmittel viel rascher verbrannt würden und dass die Kanadier nicht Produkte entwickeln sollten, deren Experten sie nicht sind. Ballard kann sich nun auf die Verbesserung der Brennstoffzellen konzentrieren, was sicher Herausforderung genug ist. Aber drei Jahre Arbeit und große Geldbeträge sind vertan.

Finanzanalyst Robert Stabile von CIBC World Markets in Toronto betont: “Brennstoffzellen sind eine Realität.” Aber auch er glaubt, dass es “viele Generationen” dauern werde, bis die Probleme gelöst seien. Er sieht den Aktienkurs in 12 Monaten bei 11,50 kanDollar. Gleichzeitig räumt Stabile ein, dass eine Analyse von Ballard lediglich auf vielen Vermutungen basiere. Und warnt: “Das ist eine langfristige Investition. Man wird nicht über Nacht einen Gewinn sehen.”

Andere Finanzanalysten halten die Firma schlicht für unanalysierbar. “Wegen des extrem weiten Zeithorizontes ist es schwierig, einen Grund zu finden, warum jemand in Ballard investieren soll”, sagt MacMurrey Whale von National Bank Financial in Toronto. Whale würde keine Wette darauf abschließen, dass Ballard in zehn Jahren noch existiert. Kleine Anleger sollten im besten Fall nur einen Bruchteil ihres Geldes in Ballard investieren, rät er. Sinnvoller wäre es, die Titel verkaufen und die Verluste durch bessere Anlagen wettzumachen.

Es ist zwar denkbar, dass sich eines Tages Ballard-Produkte in Nischenmärkten durchsetzen könnten, wo die Kosten nicht so eine große Rolle spielen: etwa Brennstoffzellen als Batterie-Ersatz für Gabelstapler, Rasenmäher, Fernsehkameras, Handys, abgasfreie Fahrzeuge in Bergwerken. Oder für Stadtbusse. Aber das würde nicht die heutige Marktkapitalisierung von 1,16 Milliarden kanDollar rechtfertigen.

Es ist auch gut möglich, dass der Aktienkurs aufgrund kurzfristiger Spekulation vorübergehend wieder steigt. Dennoch: mit Ballard-Aktien kauft man sich einen Traum – eine schlechte Basis für Investitionen.

Interview mit Dennis Campbell, Vorstandschef und Präsident von Ballard Power Systems Inc.:

Frage: Können Sie den Anlegern garantieren, dass es je eine Massenherstellung von Brennstoffzellenautos geben wird?

Campbell: Es ist schwierig, ein Produkt zu garantieren, das noch nicht auf dem Markt ist. Ich glaube allerdings, dass Brennstoffzellen der Antrieb für Autos des 21. Jahrhunderts sind. Es wird viel schneller passieren, als die meisten Leute denken.

Frage: Weshalb kommt man mit der kommerziellen Fertigung von Brennstoffzellenautos nicht voran?

Campbell: Die Technologie wird beherrscht und ihr Potential ist erwiesen. Aber es gibt Herausforderungen, vor allem mit den Kosten und der Lebensdauer von Brennstoffzellen. Ballard stellt sich diesen Herausforderungen.

Frage: Immer mehr Experten sagen, dass die Wasserstoffherstellung noch lange, lange Zeit – und vielleicht immer – viel zu teuer für eine Massenfertigung von Brennstoffzellenautos sein wird.

Campbell: Es gibt andere Experten, die glauben, dass die Kosten von Wasserstoff auf der Basis Energie-pro-gefahrenen-Kilometer tiefer als jene von Benzin sein können. Zunächst wird Wasserstoff vor allem mit Hilfe von Erdgas hergestellt werden. Aber Erdgas ist eine begrenzte Ressource wie Erdöl. Das allgemeine Ziel sind erneuerbare Energiequellen wie Erdwärme, Sonnenenergie, Wind oder Wasserkraft. Aber ich glaube, wenn einst die natürlichen Ressourcen erschöpft sind, dann wird Wasserstoff durch Atomenergie produziert werden.

Frage: Viele Anleger sind enttäuscht und verwirrt. Fundamentale Zweifel an der Machbarkeit einer Massenfertigung von Brennstoffzellenautos nehmen zu. Überrascht Sie das?

Campbell: Die harte Arbeit, um brillante neue Ideen in praktische, konkurrenzfähige, kommerzielle Produkte zu verwandeln, scheint oft länger zu dauern, als wir uns das wünschen. Wir bauen die Autos nicht. Wir sind eine Entwicklungsfirma. Wir wollen realistisch sein. Die Autohersteller und die Kunden werden entscheiden, wann die ersten Brennstoffzellenautos auf den Markt kommen.

Frage: Sie geben sich weiter optimistisch. Worauf basieren Sie Ihre Zuversicht?
Campbell: Jede Nation sucht nach erdölunabhängigen Energien. Dieser Trend wird zunehmen. China hat den am stärksten wachsenden Automarkt der Welt und gleichzeitig große Probleme mit der Luftverschmutzung. Derzeit besitzen nur acht von 1000 Chinesen ein Auto, in den USA sind es mehr als 800 von 1000. Indien ist ganz ähnlich wie China. Brennstoffzellen sind die perfekte Lösung. Warum nicht direkt eine Wasserstoff-Infrastruktur einführen?