Es gibt in der englischen Sprache dieses Zauberwort “Writer`s Retreat”, das einen kreativen Rückzugsort für Autorinnen beschreibt. In meiner Vorstellung war das früher immer ein idyllischer, abgeschiedener Ort, wo einer Autorin magisch neue Ideen zufliegen, wo die Muse ständig küsst und die Kreativität fließt wie ein Strom in den Ozean. Nur bin ich nie in meinem Leben in einem Writer`s Retreat gewesen, irgendwie habe ich immer geschrieben, wo ich gerade lebte und arbeitete.
Ich befinde mich gerade in Quarantäne in St. John`s, der Hauptstadt der Provinz Neufundland und Labrador. Wer von einem anderen Teil Kanadas hierher reist, kann das nur mit einer Sondergenehmigung der Provinzregierung tun, und man muss wegen Covid 19 gleich nach der Ankunft zwei Wochen in Selbstisolation gehen. Glücklicherweise fand ich ein hübsches Haus, alt, aber vollständig renoviert, in dem ich nun also ganz allein jede Minute meiner Tage und Nächte verbringe.
Um mir den Aufenthalt zu versüßen, mache ich mir vor, ich sei in einem Writer`s Retreat. Leider kann ich mich schwer aufs Schreiben konzentrieren. Meine Gedanken drehen sich im Kreis. Ich horche ständig in mich hinein: Habe ich irgendwelche möglichen Covid-19-Symptome? Was bedeutet das Niesen nach der Dusche? Habe ich im Taxi nicht zu nahe beim Fahrer gesessen? Es ist nervötend. Aber dann kommen mir all die Menschen in den Sinn, die jeden Tag zur Arbeit gehen und dem Virus potentiell ausgesetzt sind. Im Vergleich dazu müsste ich eigentlich zwei Wochen durchhalten können. Vor allem, wenn das Haus so gemütlich ist.
Eine Freundin schlug mir vor, den nächsten Krimi mit einer Frau zu beginnen, die unter häuslicher Quarantäne steht. Ich gestand ihr, dass mich ihre Idee gar nicht begeistert. Ich will so schnell wie möglich aus dieser Situation heraus und nicht mehr an den Virus denken müssen. Kein Writer`s Retreat für mich, nein danke, weder freiwillig noch auferzwungen. Die Muse muss ich anderswo finden…
