Auszug: Unter dunklen Wassern

Auszug aus „Unter dunklen Wassern“ von Bernadette Calonego (Copyright Berlin Verlag Bloomsbury Berlin 2007)
www.berlinverlage.de

Prolog

Jetzt war er mitten drin. Seine Beaver sackte plötzlich ab. Als ob Blei darauf läge. Dann bäumte sich die Maschine auf wie ein verzweifelter Mustang. Bockige Sprünge rauf und runter.

Ein wildes Rütteln und Schütteln.

Dazu dieser Regen. Eine graue Wand und dahinter nichts.

Der Ozean unten war viel zu nah.

Nur nicht in dieser Scheiße abstürzen.  

Er zog die Beaver hoch. Das Wasserflugzeug vibrierte wie ein Pressluftbohrer. Er hatte schon viel erlebt. War schon durch schreckliche Böen geritten, nur eine Haaresbreite von der Katastrophe entfernt. Aber heute – das war etwas vom Schlimmsten, ein Alptraum. Sein Adrenalinspiegel schoss hoch. Nur nicht in diesem Inferno untergehen.

Nicht er.

Er kam immer davon. Er kannte die Höllenkessel, wo sich die Winde verknäuelten und verbissen wie tollwütige Hunde. Er kannte den Nebel, der sich anschlich und dann jäh alles verschluckte. Aber am besten kannte er sich selber.

Er konnte abbrechen, wenn es sein musste. Er konnte sich zurück binden, nicht nochmals aufsteigen mit seiner Maschine, keinen Versuch mehr wagen. Er hörte auf sein Gefühl, wenn es sagte: Mit diesem Sturm legst du dich nicht an. Der ist stärker als du. Der radiert dich und die Beaver aus, bevor du mit den Augen zwinkerst.

„GQC – JPX ——Verdammtes Karussel, so ein verdammtes Karussel, sag ich dir, da kommt keiner durch.“ Die Stimme kam aus dem Kopfhörer. „Ich geh zurück durch den Otter-Kanal und dann bei Pitt Island außen rum.“

Noch eine Beaver da draussen. Noch so ein Verrückter, der sein Leben aufs Spiel setzte.

Er blickte auf den Bildschirm seines Global Positioning Systems. Gelbes Land, blaues Wasser. „JPX – GQC——— OK—–Ich versuche es durch den Grenville-Kanal, obwohl es von hier aus wie ein saumäßiger Brei ausschaut.“Ruheloses Knistern in der Hörmuschel. Dann wieder die Stimme.

„Ich hab` ein ziemlich starkes ELT-Signal hier.“

Auch er konnte das Funknotrufgerät der Unglücksmaschine hören, noch schwach zwar, aber erbarmunglos.

„Wo bist du jetzt?“ fragte er.

„Ich stecke etwa auf der halben Höhe von McCaulley Island, zwischen Hevnor Inlet und Newcombe Harbour. Es ist wie in einer Waschmaschine hier, verdammt starker Wind.“

„Okay. Ich hab`s nicht durch den Grenville-Kanal geschafft, ich musste hinten rum und dir nach. Meld` dich sofort, wenn du was siehst.“

„—-`Kay.“

Die Beaver tanzte. Ein Tanz mit dem Teufel. Die Maschine konnte keine Höhe gewinnen. Er beschleunigte.

Du willst doch nicht baden gehen, kleine Schnecke. Halt dich gerade. Halt dich schön gerade. Das Wasser da unten ist kalt wie gefrorener Stahl. In zwei Minuten stockt das Blut, in zehn Minuten schreit das Herz um Hilfe. In neunzig Minuten ist alles aus.

Der andere Pilot  donnert Worte in seinen Kopfhörer.

„Ich bin nah` dran, das ELT heult wie eine Hyäne. Meine Niere sagt mir, dass es irgendwo da unten ist. Dieses Loch saugt alles nach unten.“

„—- `Kay.“

Die meisten ertrinken, gefangen im Wrack. Er hat es oft erlebt. Wenn sie nicht noch ein Bein gebrochen haben oder den Rücken. Den Schädel eingedrückt. Blut, das rausquillt, rot und roh.

„Ich seh was!“ Der Schrei drang wie ein Speer durch sein Trommelfell. „Wrack im Wasser, direkt vor Captains Cove. Ich seh` mal, ob ich wassern kann und reinmanövrieren.“

„Siehst du Leute im Wasser?“

„Ich werde total gehämmert, schwer zu sagen von hier aus. Ich geb` dir Bescheid, ob ich wassern kann.“

Ein Feuerwerk im Kopfhörer, dann Schockwellen.

„Heiliger Josef, da ist was vor mir!“

„Kannst du tiefer gehen?“

„Ich bin schon tief, verdammt tief.“

„Flieg nicht zu langsam, hörst du?“

Der soll bloß aufpassen. Sie brauchten nicht noch ein paar Trümmer auf dem Wasser, sie brauchten nicht noch zusätzliche Leichen.

„——Da sind sie! Madonna! Da sind sie! Ich kann sie sehen, Mann!“

„Was kannst du sehen?“

„— Die Maschine … auseinander gebrochen, alles auseinander gebrochen. Mann oh Mann!“

„Siehst du Menschen?“

„Ich muss nach unten, Mann, ich muss nach unten.“

„Ist die See nicht zu wild? Ich seh Wellen.“

„Ich glaub`, ich schaffs.“

„Vorsichtig, ganz vorsichtig, hörst du?“

Die Stimme blieb weg. Er wartete.

Hoffentlich dreht er nicht durch. Bei dem, was er sieht. Hoffentlich behält er die Nerven. Das ist, was man braucht. Nerven.

Der andere Pilot war gut, das wusste er. Fast so gut wie er selber. 7000 Flugstunden auf dem Buckel. Die meisten zwischen Alaska und Prince Rupert. Eine Todesfalle war diese Küste. Eine Todesfalle für schlechte Piloten.

„Ich bin unten, Mann, ich bin unten. Ich habe in Captains Cove gewassert und bin jetzt nah dran. Ein Schwimmer liegt vertikal auf dem Wasser, ich glaub`, da hängt jemand dran. “

Die Stimme war aufgeweicht, als hätten die Stimmbänder zu lange im Wasser gelegen.

„Gut gemacht, ich bin gleich da.“

„—-Jeff steigt jetzt aus und klettert rüber.“

Er hatte also noch einen Mann mitgenommen. Warum sagte er ihm das erst jetzt? War ja egal. Jede Hand zählte. Vor allem, wenn die See immer noch so rollte. Er wollte aber keinen mitnehmen, keinen in Gefahr bringen.

„—Oh mein Gott!“

„Was ist los?“

„Die sind tot, Mann, die sind alle tot!“

„Tot oder bewusstlos? Könnt ihr das sehen?“

„Tote Leute, Mann. Alles tote Leute.“

Er blieb ruhig. Musste ruhig bleiben. Jetzt noch.

Er schaute auf sein GPS. Es konnten nur noch Minuten sein.

„Ich bin gleich da. Wartet, bis ich komme.“

Der Wind war erschlafft, als hätte er sich endgültig ausgetobt.

Das sah er sie. Die Beaver seines Kumpels. Sie dümpelte wie eine Plastikente in der Badewanne. Und dann sah er die andere Maschine daneben. Ein geknickter Flügel. Das Cockpit in Schräglage. Ein regloser Körper auf dem linken Schwimmer, die Beine im Wasser.

Er brüllte ins Mikrophon.

„Kannst du mich sehen? Ich komme runter. Kannst du mich sehen?“

Keine Antwort.

Er setzte zur Wasserung an. Da schrie die Stimme im Kopfhörer auf. „——Himmel! Der lebt! Einer bewegt sich! Der lebt!“

Er konzentrierte sich auf die Wasserung. Er hielt die Beaver fest im Zaum. „Komm schon, kleine Schnecke. Komm, komm.“

Er musste mit einem leichten Seitenwind wassern, parallel zu den Wellen. Da vorne war eine ruhige Stelle. Die Schwimmer klatschten aufs Wasser.

Als er auf die beiden Maschinen zuglitt, hatte er nur einen Gedanken.

Hoffentlich lebt der Richtige.